Chirurgie - Wikipedia

08/01/2014 22:15
Operation in Dresden (1956)

Die Chirurgie (von altgriechisch χείρ cheir „Hand“ und ἔργον ergon „Werk, Arbeit“) befasst sich als medizinisches Fachgebiet mit der Behandlung von Krankheiten und Verletzungen durch direkte, manuelle oder instrumentelle Einwirkung auf den Körper des Patienten (Operation). In der Chirurgie werden verletzte Körperteile zum Zweck der Heilung wieder zusammengefügt oder genäht, kranke Organe vollständig (Ektomie) oder teilweise (Resektion) entfernt. Verstopfte Organsysteme werden wieder durchgängig gemacht. Es werden neue Organe oder Prothesen implantiert. Umgangssprachlich bezeichnet Chirurgie die allgemeinchirurgische Fachabteilung eines Krankenhauses.

Geschichte

Darstellung von chirurgischen Instrumenten an der Rückwand des Tempels zu Kom Ombo (331-304 v. Chr.)

Schon aus der Steinzeit sind chirurgische Eingriffe nachgewiesen, die von den Patienten überlebt wurden. Diese Kunst war nicht nur auf den Homo sapiens beschränkt: Ein etwa 50.000 Jahre alter Skelettfund eines männlichen Neandertalers in einer Höhle im Irak belegt eine Armamputation.[1] Seit 12.000 Jahren lassen sich überlebte Trepanationen nachweisen. Operationen wurden in der Antike, besonders bei Ägyptern und Römern, mit speziell für diesen Zweck bestimmten meist metallischen Werkzeugen durchgeführt. Über die Erfolge und Heilungen ist wenig bekannt. Eine zentrale Aufgabe der Chirurgie ist die Blutstillung bei Verletzungen.[2]

Feldscher und Handwerkschirurgen

Bis zum Aufkommen der akademischen Chirurgie führte der Bader oder Wundarzt mit handwerklicher Ausbildung (der Handwerkschirurg) Operationen durch. Für den Übergang vom Feldscher zum Chirurgen stehen Johann Dietz, Daniel Schwabe, Alexander Kölpin und Heinrich Callisen, bekanntester Handwerkschirurg war Doktor Eisenbarth. Vorangetrieben wurde die moderne Chirurgie von Militärärzten und italienischen Anatomen. Zur Zeit der Renaissance von kirchlichen Vorschriften emanzipiert, erweiterte die Anatomie mit der Obduktion den chirurgischen Horizont ganz wesentlich.

Antisepsis

Aufgrund fehlenden Wissens über Infektionsgefahren wurden die Instrumente und die Hände des Arztes oft nicht gereinigt. Die Kittel waren damals dunkel, damit Schmutz und Blut darauf schwerer zu erkennen waren und man die Kittel nicht so oft waschen musste. Die Folge solch unhygienischen Vorgehens waren Infektionen, Sepsis und Tod.

Ignaz Semmelweis erahnte Mitte des 19. Jahrhunderts die Ursache des Kindbettfiebers, ordnete erstmals strenge Hygienemaßnahmen an und leistete einen ersten wichtigen Beitrag zum Rückgang der Todesfälle. Sir Joseph Lister experimentierte mit Karbol, ließ Hände und Instrumente damit reinigen, versprühte es über dem Operationsfeld und schuf damit bereits eine keimarme Atmosphäre während des Eingriffs. Der Durchbruch in der Chirurgie kam mit der Entdeckung der krankheitserregenden Keime durch das Mikroskop, den Erkenntnissen von Louis Pasteur und Robert Koch und der darauffolgenden Entwicklung der Asepsis. Ihren Siegeszug zum heutigen Standard begründeten dann die Reinigung, Desinfektion und Sterilisation von medizinischen Werkzeugen und Materialien sowie die Einführung von sterilen Operationshandschuhen aus Gummi.

Schmerzbetäubung

Die Leistungsfähigkeit der modernen Chirurgie ist ohne die Emanzipation der Anaesthesiologie undenkbar. Vor Einführung der Narkose (1846) hatte der Chirurg wegen der starken Schmerzen des Patienten möglichst schnell zu arbeiten. Todesfälle durch Schmerz (Schock) waren nicht selten. August Bier inaugurierte die Spinalanästhesie. Von Dominique Jean Larrey, dem Leibarzt Napoleon Bonapartes, wird berichtet, dass er über 200 Amputationen an einem Tag vornehmen konnte. Robert Liston (1798–1847) amputierte trotz zum ersten Mal eingesetzter Narkose (21. Dezember 1846) aus Gewohnheit ein Bein in 28 Sekunden. Dies stellte damals eine normale Operationszeit dar, war aber nichts anderes als eine Verstümmelung; denn auf jeden Wundverschluß wurde verzichtet. Mit sorgfältiger Stumpfbildung und Weichteildeckung dauern Amputationen heute zum Teil bis zu einer Stunde und bleiben erfahrenen Chirurgien vorbehalten.

Endoskopie

Von Kurt Semm 1967 in der Gynäkologie eingeführt, etablierte sich in den 1990er Jahren die minimal-invasive Chirurgie. Dabei werden die Patienten mit Endoskopen operiert, die über Stichinzisionen eingeführt sind. Der Chirurg sieht das Arbeitsfeld auf dem Bildschirm und bedient die Instrumente indirekt.

Die epochale Entwicklung der endoskopischen Chirurgie wurde von Johann von Mikulicz in Wien eingeleitet. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde sie von Olympus in Japan vorangetrieben, wo das schwer zu erkennende Magenkarzinom so häufig ist wie sonst nirgends auf der Welt.[3]

Facharztrichtungen

Operationsvorbereitung (1978)

Nach der (Muster-) Weiterbildungsordnung von 2008 umfasst die Chirurgie in Deutschland acht Facharztrichtungen:[4]

Weitere operative Fächer sind Frauenheilkunde, Ophthalmologie, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Dermatologie, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Neurochirurgie und Urologie. Da jedes Land eine eigene Weiterbildungsordnung hat, ist diese Einteilung nicht allgemein gültig.

Chirurgen

Johann von Mikulicz

Im 19. Jahrhundert gewann die deutsche Chirurgie durch Johann von Mikulicz Weltgeltung, die nur in der Zeit des Nationalsozialismus Schaden nahm. In den USA, in Australien und im Vereinigten Königreich sind Lehrstühle jüngst mit Deutschen besetzt worden.

Über die schwierige Lage der Chirurgie in der DDR berichtet Helmut Wolff.[5]

Große deutschsprachige Chirurgen sind

Nissen und Wachsmuth sind die wichtigsten Chirurgenbiografien des 20. Jahrhunderts zu verdanken. Peter Bamm veröffentlichte 1952 seinen berühmten Bericht über die Kriegschirurgie im Heer der Wehrmacht. Dass seine Wahrhaftigkeit auch deutsche Kriegsverbrechen einbezog, wird erst heute wahrgenommen.

„Das“ Chirurg

Diagnosebezogene Fallgruppen, privatwirtschaftliches Gewinnstreben, Qualitätsmanagement, Medizinische Dokumentation, haftungsrechtliche Auseinandersetzungen, Arbeitszeitgesetz, quotenorientierte „Kriminalisierung“ in den Massenmedien, die tarifrechtliche Nivellierung operativer und konservativer Fächer und die Ahnungslosigkeit der Politik haben die Medizin zum Spiel um den Schwarzen Peter gemacht. Hinzu kommen die Mehrkosten durch die Akademisierung der Pflege – für die bei den Assistenzärzten gespart wird. So fehlt es allenthalben an chirurgischem Nachwuchs. Um sich mit fremdsprachigen Ärzten behelfen zu können, hat ein Krankenhaus an der niederländischen Grenze zwei Deutschlehrer eingestellt.

Angeregt von einer Stellenausschreibung in der Irish Medical Times„Geschlechtslose Personen werden bei gleicher Eignung bevorzugt“ – schreibt der Berliner Chirurg Bartholomäus Böhm in einer Glosse:[6]

„Wir benötigen ein Wesen, das durch Familie oder Freunde nicht gebunden ist. Es darf nicht schwanger werden, keine Elternzeit nehmen, keine Kinder aufziehen, sich nicht um kranke Familienmitglieder kümmern, muss immer belastbar und verfügbar sein und wenig Urlaub benötigen. Eigentlich wäre ein asoziales Element wünschenswert, das jederzeit mit vollem Engagement verfügbar ist. Das Chirurg könnte tagsüber am Patienten tätig sein und operieren und sich außerhalb der Kernarbeitszeit um Fortbildung oder DRG-Kodierung kümmern. Für Forschung und Lehre wäre sicherlich auch noch ein Zeitfenster zu finden.“

Bartholomäus Böhm

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Hochspringen Manfred Reitz: Steinzeitchirurgie. Pharm. Ind. 73, Nr. 10 (2011), S. 1755-1757
  2. Hochspringen Walter von Brunn: Zur Geschichte der Blutstillung. Die Medizinische Welt. Band 9, 1935, S. 107 f.
  3. Hochspringen Rabenstein et al. (2008)
  4. Hochspringen Bundesärztekammer: (Muster-)Weiterbildungsordnung und -richtlinie, abgerufen am 28. Januar 2013
  5. Hochspringen H. Wolff: Zur Entwicklung der Chirurgie und der chirurgischen Forschung in der DDR. Deutsche Gesellschaft für Chirurgie – Mitteilungen 1/2012, S. 1–8
  6. Hochspringen B. Böhm: Der, die, das Chirurg. Chirurgische Allgemeine, 14. Jg., 3. Heft (2013), S. 121 f.

Literatur